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Interview Prof. Lydia Haack

Kostengünstig bauen – letztlich eine Typfrage

Endlich in der Zielkurve? Was kann der neue Gebäudetyp-e in Bezug auf kostengünstiges nachhaltiges Bauen leisten, wenn er per Gesetz demnächst möglich wird? Dazu das Interview mit Professorin Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer.

Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, sagt: „Der Gebäudetyp-e ist eine Initiative, um die Systematik des Planens und Bauens neu zu sortieren und zu bewerten: Was ist sicherheitsrelevant und was ist reiner Komfort?“

Foto: Tobias Hase

Unglückliches Timing. Der Gesetzentwurf zum neuen Gebäudetyp-e hat es nicht mehr rechtzeitig zur Verabschiedung ins Parlament geschafft. Das bleibt dem neuen Bundestag vorbehalten. Der Weg bis hierher – wie würden Sie ihn beschreiben? Die Bayerische Architektenkammer gilt ja als Urheberin respektive Initiatorin des neuen Gebäudetyps.

Es war ein sehr langer Prozess mit vielen ministeriellen Arbeitsgruppen, in die wir als Architekten und Planer immer wieder gerufen wurden, um das Bauen kostengünstiger zu machen. Am Ende mit der Erkenntnis: Wir können beim Planen und Bauen nicht abspecken. Dem stehen generell hohe Bodenpreise und die krisenbedingt steigenden Materialkosten entgegen. Vor allem aber unterliegen wir als Berufsstand einem sehr rigiden Kanon aus kostentreibenden Vorschriften – ungefähr 3.500 Normen und Regeln –, an die wir uns halten müssen, hier sogar haftbar sind.

Die Bauordnung entrümpeln, wie in der Vergangenheit verschiedentlich gefordert, war demnach keine Option? Das würde erfahrungsgemäß nur zu einer „Verschlimmbesserung“ führen war sinngemäß von Verfechtern des Gebäudetyps-e im Vorfeld ja auch zu hören.

So ist es. Wir können nicht jede einzelne Norm durchforsten. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel beim Bauen. Beim tieferen „Nachgraben“ in den Landesbauordnungen/Musterbauordnung hat sich nämlich herausgestellt: 90 Prozent der Vorschriften dort sind Normen und Regeln, die als anerkannte Regeln der Technik firmieren, aber mitnichten das Bauordnungsrecht tangieren. Gleichzeitig sind es aber diese 90 Prozent an Vorschriften, die das Bauen so kompliziert und teuer machen. Wir müssen also beim Planen und Bauen umdenken. Das heißt: Wir nehmen nur noch das, was wirklich wichtig ist. Die sicherheitstechnischen Standards nehmen wir gerne. Aber die Komfortstandards – die müssen frei wählbar sein.

Wie sieht die Lösung nunmehr aus? Wo setzen Sie konkret an?

Das allermeiste, was wir an Regeln zum Bauen brauchen – dass unsere Gebäude standsicher sind, dass sie beim Brand- und auch Lärmschutz allen Vorschriften entsprechen – diese und andere Schutzziele finden sich ja schon in den Landesbauordnungen. Daran halten wir weiter fest. Aber was man darüber hinaus an Normen und Regeln beim Bauen anwendet – da wäre es gut, wenn wir das mit dem Bauherrn verhandeln könnten. Es ist der Gebäudetyp-e, der letztlich besagt: Nicht jede DIN-Vorschrift wird bindend, vielmehr wirklich nur das Rahmengerüst des Planens und Bauens.

Unter der Voraussetzung, dass der Gesetzentwurf die parlamentarischen Hürden demnächst nimmt: Wie stehen die Chancen, dass sich Bauherren wie Architekten auf diesen neuen Gebäudetyp-e tatsächlich einlassen? Da sind wir ja auch sehr schnell bei der Kontroverse Billigbau versus Qualität. Wird diese nicht darunter leiden, wenn man sich nur auf Brandschutz, Standsicherheit und Umwelt kapriziert und, zugespitzt, sagt: Alles andere lassen wir mal wegfallen?

Nein. Die Qualität leidet keinesfalls. Was sich verändert – und hier muss man unterscheiden, das sind die unterschiedlichen Ausstattungsmerkmale. Das ist das, was der Bauherr mit dem Architekten verhandeln kann. Zum Beispiel: Wie viel Steckdosen soll ein Zimmer haben – ein bis zwei oder mehr, wie es teils vorgeschrieben ist? Sollen die Leitungen unter Putz oder genügt Aufputz? Oder auch das große Themenfeld Haustechnik, die bekanntlich wartungsabhängig ist: Für eine gute Raumkühlung braucht man nicht unbedingt eine kontrollierte Lüftung. Man baut das Haus oder den Raum vielleicht etwas höher und die Raum­temperatur wird eine andere.

Einfach bauen – ist da an eine bestimmte Klientel gedacht?

Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen. Aber: Das muss der Markt entscheiden dürfen. Wir reden ja nicht von Niedrigstandards oder minderwertiger Architektur. Das wäre komplett falsch verstanden.

Wir reden von einem guten Standard, einer gebrauchstauglichen Architektur, so wie sie einmal üblich war. Und wenn der Bauherr einen anderen Standard möchte, hat er mit dem neuen Ge­bäude­typ-e dazu die Möglichkeit. In jedem Fall ist es freiwillig. Wie läuft es denn bisher? Sobald die Industrie ein neues Produkt entwickelt und auf den Markt gebracht hat, hält es als technische Neuerung – und damit faktisch im Jahrestakt – Einzug in den Wohnungsbau. Der Bauherr muss es einbinden. Das überfordert ihn und uns als Gesellschaft. Obwohl wir doch wissen, dass unsere Ressourcen endlich sind. Für mich ist das fast etwas wie die „Pflicht zum Konsum“.

Die Normen und Regeln haben sich also de facto verselbstständigt?

Nicht jede Norm am Bau kann tatsächlich für sich in Anspruch nehmen, als „anerkannte Regel der Technik“ zu gelten. Das hat sich verselbstständigt. Der Begriff ist ja irgendwann mit der Maßgabe eingeführt worden, dass es sich um eine wirklich wichtige, unverrückbare technische Neuerung handelt und sie folglich beim Neubau unverzichtbar ist. Ob das jeweils der Fall ist, wäre eben zu untersuchen. Darauf hat erst jüngst auch der Baugerichtstag hingewiesen.

Wenn ein Produkt ein paar Mal eingesetzt wurde, heißt das doch nicht: Es ist unverzichtbar. Wir werden dazu verdonnert, immer den höchsten Standard einzusetzen, weil es ein Produkt gibt, was zugegebenermaßen gut ist. Aber vielleicht gibt ein anderes, was genauso gut ist, aber einen anderen Standard hat?

Ist an dieser Entwicklung möglicherweise auch das Anspruchsdenken der Bauherren nicht ganz unschuldig?

Das mag es in Einzelfällen geben. Generell würde ich den Bauherren diese Entwicklung jedoch nicht anlasten wollen. In den 80ern und 90ern, in der Zeit, als man aus dem Vollen geschöpft hat, ist hier gesamtgesellschaftlich einiges aus dem Ruder gelaufen. Inzwischen ist es vor allem ein industriegetriebenes Problem, industriegetriebene Standards in Verbindung mit Verkaufsdruck. Da gibt es vielleicht irgendwann ein Bedienelement, das nicht mehr durch Drehen – also mechanisch – funktioniert, sondern elektronisch. Und auf einmal ist das der neueste Standard – und den muss man einsetzen. Es sollte doch jedem selbst überlassen bleiben, was er für sich in Ordnung findet. Das wäre in etwa genauso, als wenn man verlangen würde: Du darfst kein normales Fahrrad mehr fahren. Du musst ein E-Bike kaufen.

Rückkehr zu Vernunft und Augenmaß. Das „e“ beim neuen Gebäudetyp steht für einfach bauen. Man darf oder sollte sich sogar durchaus auf Bewährtes besinnen?

Die Abkürzung „e“ steht für verschiedene Konnotationen: für einfach und damit auch für Bewährtes beim Bauen, aber auch für effizient und experimentell. Und experimentell ist gerade im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsdebatte, die wir heute führen, von immenser Bedeutung. Auch hier stecken wir in einem engen Korsett.

Wo drückt es dort konkret?

Wir können zum Beispiel nicht mehr – so wie das einmal war – sagen: Wir machen den Wandaufbau einmal ganz anders. Weil alles reguliert ist: welche Dichtung und Dämmung – alles hat Regeln und Normen. Das heißt: Wir kommen gar nicht zu einer neuen innovativen und nachhaltigen Art zu planen. Wir blockieren uns hier selbst. Oder die maximale Begrenzung des CO2-Ausstoßes. Wir können gern ein Ziel verabreden. Aber den Weg dahin sollten wir offenlassen.

Was wir in den Pilotprojekten zum Gebäudetyp-e hier in Bayern außerdem festgestellt haben: Mittlerweile gibt es so viele unterschiedliche Vorschriften, dass sie sich gegenseitig sogar widersprechen.

Wo wird der Widersinn zum Beispiel augenscheinlich?

Das betrifft zum Beispiel Geländerhöhen. Die Bauordnungen geben hier Maße vor. Die Arbeitsschutzrichtlinien verlangen wiederum andere. Oder in Bezug auf die Raumgrößen – da widersprechen sich die Förderrichtlinien nicht selten. Das alles kommt jetzt durch die 19 Pilotprojekte zutage. Das ist doch fatal: Wir machen Vorschrift um Vorschrift. Lasst uns doch Ziele setzen. Und der Weg zum Ziel muss frei sein.
Und: Der Gebäudetyp-e wird dringend auch für den Schutz des Bestandes gebraucht. Das sind die Diskussionen, die jetzt gerade in Bezug auf Nachverdichtung geführt werden.

„Wenn man im Vorfeld alle Schwierigkeiten bedenken würde, würde man vermutlich gar nicht erst anfangen zu bauen“, hat eine Ihrer Berufskolleginnen ihre Erfahrungen bei Umbau und Sanierung zusammengefasst. Wie lässt sich dort mithilfe des Gebäudetyps-e mehr Spielraum erreichen?

In dem Moment, in dem der Architekt den Bestand anfasst, müssen viele Regeln angewandt werden. So ist es jetzt. Der Gebäudetyp-e würde hier eine deutliche Erleichterung bringen. Man bräuchte diese zahlreichen industriegetriebenen Standards mit dem Bauherrn dann ja nicht vereinbaren. Wenn zum Beispiel aufgestockt wird – weil es in der Stadt keinen Baugrund mehr gibt –, dann muss man doch mit dem Bestand und dessen Standards leben dürfen: mit Treppenneigungen, Trittverhältnissen, mit Deckenhöhen, Geschosshöhen. Und ihn nicht rückwirkend verändern müssen.
In Bremen und Niedersachsen beispielsweise wurde die Bauordnung dahingehend geändert, dass die neuen ergänzten Bauteile nicht besser sein müssen als der Bestand.

Architekt und, wie es heißt, der fachkundige Bauherr können künftig den Vertrag zum neuen Gebäudetyp-e verhandeln. Wer zählt für Sie als fachkundiger Bauherr?

Was wir uns jetzt erst einmal gewünscht haben ist tatsächlich der informierte Bauherr – beispielsweise eine Wohnungsbaugesellschaft oder Wohnungsgenossenschaft oder ein fachkundiger Bauherr, der auch die Möglichkeit hat, einen Vertrag gemeinsam mit dem Architekten wirklich zu durchdringen. Dabei wollen wir den normalen Bauherrn, der sein Eigenheim baut oder nur eine kleine Baumaßnahme am Haus hat, nicht überfordern.

Wir gehen davon aus, dass sich mit der Einführung des neuen Gebäudetyps-e sehr vieles herauskristallisieren wird, was dann auch allen Bauherren zugutekommt. Inzwischen gibt es auch Empfehlungen aus dem Bundesbauministerium, wie man solche Verträge gestaltet und eine gute und konstruktive Bauherrenaufklärung stattfinden kann.

Interview: Carla Fritz