Interview Rainer Hofmann
„Wir müssen beim Wohnungsbau toleranter und pragmatischer sein“
Grundsteinlegung für „Das große kleine Haus“ dieser Tage in München, zünftig mit Zeitkapsel für die Nachwelt. Was die künftigen Bewohner hier und heute in dem Haus neuen Typs erwartet und was er als Architekt und Stadtplaner sich davon verspricht, das erklärt Rainer Hofmann im Interview.

Rainer Hofmann: Dipl.-Ing. Architekt und Stadtplaner, geschäftsführender Gesellschafter
bogevischs buero Foto: Frank Bauer
Das Haus ist eines von 19 Pilotprojekten des Freistaates Bayern zum neuen Gebäudetyp-e. Können Sie kurz skizzieren – was ist geplant?
Das Projekt ist mit einer Genossenschaft geplant. Es soll dauerhaft günstigen Wohn- und Gewerberaum zur Verfügung stellen, den Bewohnern eine Chance bieten, sich im Quartier zu verwurzeln mit Wohnen und Arbeiten unter einem Dach. Weil uns die gemischte Stadt wichtig ist, die Stadt der kurzen Wege. Jeder, der dort wohnt, hat die Möglichkeit einen Homeoffice-Arbeitsplatz mit super Aussicht – im 9. Obergeschoss – für wenig Geld zu mieten. Ein Thema, was immer virulenter wird. Man muss nicht am Küchentisch arbeiten oder am Bettrand. Sondern kann das hier in Gemeinschaft und in einem Gebäude, das auch einen hohen Anspruch an die Nachhaltigkeit hat.
Nachhaltigkeit, darunter kann man sich vieles vorstellen. Inwiefern kann man diese Prägung dem Haus tatsächlich schon von außen oder innen ansehen?
Das Gebäude wird zum großen Teil aus Holz gebaut und mit wiedergewonnenen Bauteilen. Mit den ausrangierten Blechen einer geschenkten Stahlhalle können wir zum Beispiel ein Drittel der Fassade gestalten. Bei Fliesen sondieren wir gerade. Da gibt es einen relativ großen Zweitmarkt. Bauteile wiederverwenden, noch ist das extrem umständlich. Die alten Stahlteile hatten ja keine Zulassung. Bisher ist alles auf Neubau fixiert, mit Stempel und Prüfzeichen. Wie bekommt man die Baustoffe wieder in den Kreislauf? Im Piloten für den Gebäudetyp-e hilft die TU München mit einer einmaligen Zertifizierung. Aber es muss generell Lösungen geben, wie man pragmatisch damit umgeht.
Abweichen von dem, was üblich ist und auch außerhalb der Norm. Mit Freiräumen, die der neue Gebäudetyp-e zunächst hier im Test ermöglicht. So lässt sich das „große kleine Haus“ vielleicht baulich charakterisieren. Wie weit gehen Sie bei diesem Experiment im Wohnungsbau?
Zunächst: Es geht nicht darum, das Rad neu zu erfinden, sondern aus überzogenen Standards die Luft etwas rauszunehmen. Bei der Unterschreitung von Normen reden wir häufig über marginale, nicht über drastische Veränderungen. Wir bleiben beispielsweise bei der Wohnungsheizung etwas unter der Normtemperatur und haben in den Bädern komplett auf Heizungen verzichtet. Das klingt jedoch dramatischer als es tatsächlich ist. Wobei es auch schon Projekte gibt, die ohne Heizung bauen.
Man muss aber sehen: Vieles in den Neubauten ist überdimensioniert, um hundertprozentig sicherzugehen, dass es in der Realität auch funktioniert – bei der Heizung oder auch beim Schallschutz. Darauf haben wir reagiert und auch hier die Norm unterschritten – mit dem kleinen Nachteil, dass der Schallschutz zwischen den Wohnungen dann nicht ganz mit einem Standardneubau mithalten kann, also ein Minimalstandard ist.
Eine gewisse Skepsis sollte aber erlaubt sein – gerade wenn es um das Thema Heizen geht. Das Wärmeempfinden ist nun mal verschieden?
Nochmals, man sollte sich klarmachen: Bei Wohnungsbaunormen wird mit hohen Sicherheitsaufschlägen gerechnet. Aus der Praxis wissen wir aber: Die Heizung im Neubau ist meist ausgedreht, weil die Gebäudehülle, weil die Dämmung so gut ist. Die Räume heizen sich außerdem durch Computer, Herd und andere Quellen auf. Und in unserem „großen kleinen Haus“ liegen die Bäder innen, profitieren also auch von der Umgebungstemperatur. Wozu also die vielen teuren eingebauten Extra-Sicherheiten? Da müssen wir toleranter sein. Hier hat damit niemand ein Problem. Zumal, schon wenn man nur geringfügig an den Neubaustandards schraubt, die Auswirkung bei den Baukosten ungleich größer ist mit ca. zehn Prozent Ersparnis bei unserem Projekt. Wer aus einem Altbau kommt, sieht das ohnehin pragmatisch.
Einzug soll in ca. anderthalb Jahren sein. Können Sie schon etwas über die künftigen Mieten im genossenschaftlichen Haus sagen?
Definitiv. Hier sind wir ja eine Verpflichtung eingegangen. Denn es handelt sich um ein Erbpachtgrundstück der Stadt mit Auflagen bei den maximalen Mietkosten: 11,50 Euro kalt pro Quadratmeter im München-Modell und 13,50 Euro im Konzeptionellen Mietwohnungsbau (KMB). Derzeit sind wir in München bei einem durchschnittlichen Mietpreis um die 17,50 Euro je Quadratmeter. Und in den Lagen, wo wir bauen, wären es um die 20 Euro pro Quadratmeter. Wir sind also deutlich unter dem Marktpreis. Das ist natürlich immer noch nicht wenig. Aber doch so weit erschwinglich, dass man sich als normale vier- oder fünfköpfige Familie mit durchschnittlichem Einkommen Wohnen in München leisten kann. Wenn die Unterhaltskosten steigen, müssen wir natürlich auch die Mieten anheben, bleiben dabei aber erfahrungsgemäß unter der Inflation. Auf Dauer werden diese Wohnungen also noch günstiger im Vergleich zum allgemeinen Preisspiegel.
Grundsteinlegung im Februar 2025 am tiefsten Punkt des „großen kleinen Hauses“ in München, das in seinem Turmbau neun Geschosse beherbergt. Zusammen mit Zeitdokumenten und Bauplänen wurden auch Kleingeld sowie vonseiten der Kinder, als künftige Bewohner, selbstangefertigte kleine Spielsachen und Friedenssymbolik in der kupfernen, wasserdicht verschweißten Zeitkapsel in die Erde versenkt. Das Haus ist eines von 19 Pilotprojekten in Bayern zum
neuen Gebäudetyp-e.
Fotos: Martin Friedrich
Kreativ und inklusiv – das „große kleine Haus“ in München
„Vielfalt groß. Maßstäbe und Preise klein. Wege kurz“, so leitet Architekt und Stadtplaner Rainer Hofmann den Namen des genossenschaftlichen Projekts „Das große kleine Haus“ für den Unkundigen her. Um die 80 bis 90 Bewohner werden hier, ziemlich bald, in etwa anderthalb Jahren, leben: viele Familien, ältere Menschen und auch Alleinstehende, die etwas zum gemeinsamen Wohnen suchen. „Es gibt zum Beispiel auch Clusterwohnungen und eine betreute Wohngemeinschaft für Jugendliche, die daheim nicht mehr wohnen können“, so Hofmann. Für sie hat ein Verein zwei Jugendwohnungen angemietet. Ein weiterer Verein, der einzieht, arbeitet mit behinderten Menschen und organisiert auch Arbeit für sie: auch hier direkt im Kreativquartier im Münchener Westen, wo er das Café im Erdgeschoss des genossenschaftlichen Projekts und eine Putzfirma betreibt. Zu mehreren Sozialträgern als Mieter und Genossenschaftsmitglieder kommt klassisches Kreativgewerbe: Filmemacher, Architekten, Künstler. Im „großen kleinen Haus“ sind 20 Prozent der Gewerbeflächen für kostengünstige Ateliers reserviert. „Wir sind ein gemischtes Projekt, sozial und auch inhaltlich“, hebt Hofmann hervor.
Gerade Künstler in München haben es nach seinen Worten schwer, an einigermaßen erschwingliche Räume zu kommen. Etwa im Vergleich zum Ruhrpott oder Berlin, wo es Schwerindustrie und viele Lagerhäuser an den Flüssen gab, die heute anderweitig Verwendung finden. „Im viel jüngeren München gibt es dergleichen nicht in dem Maß.“
Im Kreativquartier sei die Stadt bei der Nachverdichtung einen anderen Weg gegangen und dabei einem Entwurf des Berliner Architekturbüros Teleinternetcafé gefolgt. Man hat die alten Hallen der Stadtwerke stehenlassen und umfunktioniert. Dazwischen werden neue Gebäude platziert. „Und wir sind faktisch ein solcher Baustein, der in eine der Lücken gesetzt wird.“ Direkt neben einem Atelier mit schönen hohen Räumen für 50 Künstler, „das sein markantes strapaziertes Äußeres behalten durfte“.
Steckbrief: Das große kleine Haus
Standort: im Westen von München im Kreativquartier
Grundstück: 1.794 qm
Eigentümer/Vermieter/Bauherr: Genossenschaft „Das große kleine Haus“
Architekt: ARGE bogevischs buero und Teleinternetcafé
Konzept: gemischt-genutzt für Wohnen und Gewerbe
Bewohner: Familien, ältere Menschen, Alleinstehende
Gewerbemieter: Künstler, soziale Träger, Kreative
Gebäudeensemble: Sockelgebäude (gewerblich genutzt) und Wohnturm (mit Home-Office)
Wohnungen: 29 Wohneinheiten, gefördert nach dem München-Modell für mittlere Einkommen und Familien mit Kindern (darunter fünf Clusterwohneinheiten für Wohngemeinschaften) sowie konzeptioneller Mietwohnungsbau (KMB, preisgedämpfter freifinanzierter Mietwohnungsbau)
Gewerberäume: elf Ateliers, Gewerbeeinheiten (flexibel zusammenschaltbar)
Gemeinschaftsräume: drei Dachterrassen, Multihalle und Quartierscafé
Wohnnutzfläche/Gewerbefläche: 1.903 qm/1.295 qm
Energetisches Konzept: KfW 40 QNG+
Einzug: voraussichtlich ab Herbst 2026
Skizze: bogevischs buero