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Interview Ronald Meyer

Sanierungssprint für kleine Häuser

Die Idee dahinter ist im Grunde nicht neu, jetzt aber offenbar die Zeit für ihren Durchbruch gekommen: Prozessoptimierung am Bau, auch im Bestand. Wie er das konkret und gegen viele Vorurteile umgesetzt hat und nunmehr in die Breite tragen will, darüber spricht Bauingenieur Ronald Meyer im Interview.

Bauingenieur Ronald Meyer. Seit 1992 besteht sein Bauingenieurbüro für innovative, energieeffiziente Bau- und Modernisierungslösungen. Das Thema Prozessoptimierung am Bau beschäftigt ihn sein Berufsleben lang. Auslöser waren das Bauingenieurstudium mit der Vertiefung Baubetrieb und der Bau eines eigenen Einfamilienhauses mit Mitte zwanzig. Dort hat er „jeden Stein und Nagel dokumentiert, jeden Arbeitsschritt ausgewertet“, sich die einzelnen Handgriffe vorher auf anderen Baustellen von Handwerkern zeigen lassen. Später gab es mehrere rekordverdächtige Projekte. „Da haben wir auf einer Bodenplatte ein ganzes Haus in kürzester Zeit hochgemauert. Samstags 10.00 Uhr war Grundsteinlegung und 14.30 Uhr Richtfest für das Einfamilienhaus. Dieses schnelle Bauen haben wir von Anfang an in der Praxis gezeigt.“ Daraus wurde ein Konzept – damals noch belächelt, gefolgt von Büchern, Vorträgen zum Thema bis hin zu mehreren Bau-Rocksongs. Inzwischen hat sich der Wind gedreht. „Ich bin glücklich, dass es jetzt langsam losgeht“, sagt der Erfinder des Sanierungssprints. „Das ist unser Ziel, dass Bauen und Sanieren preiswerter und schneller geht und gleichzeitig die Qualität steigt.“

Foto: Peter Hirth

Sanierung im Schnelldurchlauf. Das lässt hoffen mit Blick auf den allgegenwärtigen Sanierungsstau hierzulande. Wie schnell können Sie denn sanieren?

Das normale Ein- oder Zweifamilienhaus kann man in 22 Arbeitstagen sanieren – und zwar von Grund auf. Denkbar ist das aber auch für jedes andere Haus. Man muss nur genügend Handwerkerteams haben, die mitziehen, und braucht natürlich eine gute Planung und Koordinierung.

Mitziehen bedeutet nach Ihrem Konzept: Sämtliche Gewerke auf der Baustelle sind exakt aufeinander eingetaktet, arbeiten parallel und als Teamplayer. Ehrlich gesagt, sollte das nicht die Grundvoraussetzung beim Bauen sein? Mussten Sie also das Rad de facto neu erfinden?

Wenn Sie so fragen – ja. Mittlerweile bin ich schon einige Jahrzehnte im Beruf. Vor über 30 Jahren, nach dem Studium, als junger Bauingenieur war ich überrascht, dass man am Bau keine richtige Struktur und Prozessorganisation kennt. Zugespitzt: Jeder kommt irgendwie und macht irgendwas und irgendwann ist das Ganze dann fertig. Und da sich Teile der Baubranche und des Handwerks – nicht alle – in diesem Zustand eingerichtet und die Auftraggeber sich größtenteils damit abgefunden haben, habe ich damals die Prozessoptimierung ins Gespräch gebracht. Für mich im Grunde logisch. Doch davon wollte niemand etwas hören. Und auch als solche Baustellen im TV zu sehen waren – dorthin hatte ich mich in meiner Not gewandt – brachte das keinen Erfolg.

Sie haben sich mit Ihrer Idee tatsächlich ans Fernsehen gewandt?

Darin habe ich damals eine Chance gesehen und Fernsehredaktionen angesprochen. „Zu Hause im Glück“ hieß beispielsweise ein Format mit teilweise zwei Millionen Zuschauern, das die prozessoptimierte Baustelle in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Da hat man in acht Tagen ein Haus renoviert und ich war für die Baustellenlogistik zuständig.

Handwerker schrieben: Diese Sendung ist ein Fake. So kann man nicht arbeiten. ‚Doch‘, habe ich erwidert. ‚Man kann, wenn man will, die Prozesse am Bau deutlich verbessern. Wenn man nicht will, dann nicht.‘ – Selbst in den 22 Arbeitstagen beim Sanierungssprint heute haben wir noch relativ viele Pufferzeiten. Es geht vergleichsweise stressfrei zu mit gemeinsamem Mittagessen in der Pause und einer richtig guten Begleitung durch den Sanierungscoach.

Wenn sich trotz straffer Taktung beim Sanierungssprint niemand zeitlich überschlagen muss, stellt sich natürlich die Frage: Wie ist oder war es denn bis jetzt? Haben Sie dazu Zahlen oder Erfahrungen?

Für unsere Studie zum Sanierungssprint haben wir auch viele Architekten und Bauleute nach ihren Erfahrungen befragt. Daraus ergibt sich im Mittel ein realistisches Zeitfenster von sechs bis 15 Monaten, die eine Grundsanierung bisher dauert.

Sie verkürzen das Ganze auf gut vier Wochen. Was passiert in diesem Zeitraum genau?

Das Gebäude wird vollständig bis auf den Rohbau entkernt und neue Haustechnik installiert – Heizung, Sanitär, Elektro, die wie die Häuser auch in die Jahre gekommen sind. Dazu kommen eine neue Dacheindeckung mit Wärmedämmung, neue Fenster, Fassadendämmung, Fußbodenheizung, Estrich, Bodenbeläge, Decken und Wände spachteln, Innentüren, neue Bäder. Eine reine Mütze-und-Mantel-Sanierung wäre grundsätzlich auch in 14 Tagen zu schaffen.

Mütze-und-Mantel-Sanierung?

Einen Winterspaziergang macht man nicht barfuß und in kurzer Hose, sondern packt sich komplett ein mit dicker Jacke, langen Hosen, Schuhen, Mütze. Weil dort, wo der Körper nicht warm eingepackt ist, verliert er die meiste Wärme. Beim Haus ist es genauso. Dach, Fassade, Fenster müssen komplett eingepackt sein. Dann hat man den baulichen Wärmeschutz erreicht. ,Mütze-und-Mantel-Paket‘ nennen wir das. Gerade bei energetisch sehr schlechten Häusern, den sogenannten Worst Performing Buildings, ist der größte Hebel die gut gedämmte Gebäudehülle. So kommt man in einem allerersten Schritt vom hohen Energieverbrauch herunter, beispielsweise von 240 kWh auf 40 kWh oder 50 kWh. Wenn man will, kann man noch die Heizung austauschen.

Mancher würde unter diesen Umständen vielleicht sagen: Dann bauen wir doch lieber gleich neu?

Im Einzelfall mag das praktikabel sein. Aber wir haben in Deutschland ca. 20 Millionen Wohnhäuser und etwa die Hälfte davon braucht dringend eine Instandsetzungssanierung. Da reden wir noch nicht von energetischer Sanierung. Einfach abreißen und neu bauen? Das würde weder vom Stadtbild noch von der gesamten Performance her funktionieren. Weil wir ja auch irgendwo wohnen müssen. Die 22-Tage-Sanierung ist folglich Teil eines Gesamtkonzepts, wie wir bundesweit Wohnhäuser energetisch und darüber hinaus auf Vordermann bringen können. Und mit diesem Konzept fokussieren wir uns zunächst auf die Häuser der Baujahre 1955 bis 1980.

Das ist eine ziemlich breite Palette von Gebäudejahrgängen. Von welcher Bausubstanz reden wir hier?

Die Gebäude dieser Jahrgänge verfügen über eine relativ gute Bausubstanz. Sie sind massiv gemauert, haben Betondecken und noch gut erhaltene Dachstühle, weil man in dieser Zeit mit sehr starken Holzschutzmitteln gearbeitet hat. Etwa die Hälfte des Gebäudebestandes ist allein in diesen Baujahren zu finden. Man könnte folglich auch in der Breite schon relativ schnell loslegen und einen Teil des Sanierungsstaus auflösen sowie das Bauen etwa 30 Prozent günstiger machen. Schlicht dadurch, dass beim Sanierungssprint eine ganze Reihe unnötiger Schritte wegfällt. Denn wenn eine Baustelle über einen längeren Zeitraum dahindümpelt, ist sie allein deswegen teurer.

Woran stoßen Sie sich konkret? Wodurch zieht sich die Sanierung typischerweise in die Länge? Und wie schaffen Sie das Problem aus der Welt?

Wie läuft es denn tatsächlich ab? Die Handwerker fahren zur Baustelle und gleich wieder zum Baustoffhändler, weil Material fehlt – und das nicht nur ein Mal. Wertvolle Arbeitszeit, die verlorengeht, und Hunderte Euro, die verbrannt werden, weil man die Baustelle nicht richtig vorbereitet hat.

Auf unseren Baustellen sind alle vor Ort. Passt beispielsweise die Wasserleitung nicht durch den Sturz oder taucht ein anderes Problem auf, hat man nach zehn Minuten gemeinsam eine Lösung gefunden. Keiner muss deswegen die Baustelle verlassen oder noch einmal extra herkommen, keiner Material nachkaufen. In der Mittagspause spricht man noch einmal darüber in einer guten Atmosphäre und geht am Nachmittag in die Umsetzung. Insgesamt sind es ein Dutzend Hebel, wodurch wir massive Zeit- und Kosteneinsparungen bewirken können.

Das wäre außerdem zum Beispiel …?

… Baustelle einrichten, Baustelle aufräumen durch preiswerte Helfer, nicht durch teure Fachkräfte. Die Rüstzeiten auf einer Baustelle machen über zehn Prozent der Arbeitszeit aus. Wir halbieren sie, indem wir in zwei Schichten arbeiten, vormittags und nachmittags. Allein über die Rüstzeiten lassen sich mehrere Tausend Euro sparen. Oder die Materiallogistik. Da stellt sich auch die Frage, ob man im digitalen Zeitalter den Materialfluss etwas klüger steuern und so die Handlingskosten reduzieren könnte?

Den Materialfluss klüger steuern – inwiefern?

Der Materialfluss läuft heute beispielsweise immer noch vom Groß- zum Einzelhändler, von dort zum Handwerker und Eigentümer. Das heißt mehrmals aufladen, entladen und jedes Mal mit einer Marge von 20 bis 30 Prozent obendrauf. – Es hilft nichts: Um den Sanierungsstau aufzulösen und den Markt anzukurbeln, muss man sich neu organisieren. Und damit tun sich viele schwer.

Ihnen ist es aber geglückt, Handwerksbetriebe für den Sanierungssprint zu gewinnen. Wie ist denn dort generell die Resonanz darauf?

Viele Handwerker wissen, dass man nur mit gutem Management dahingehend etwas erreichen kann. Bei etwa der Hälfte der Betriebe rennt man mit diesem Angebot faktisch offene Türen ein im Sinne von: Gut, dass sich endlich mal jemand um die Bauabläufe kümmert. Etwa 30 Prozent sind bereit, den Sanierungssprint zumindest auszuprobieren. Und bei ca. 20 Prozent erlebe ich totale Ablehnung. Beim ersten Projekt ist es in der Tat schwierig, die Gewerke alle unter einen Hut zu bekommen. Deshalb war ich sehr froh, dass damals die kritischen ersten Tage wie am Schnürchen abgelaufen sind. Die drei ersten Tage sind die wichtigsten.

Weshalb kommt es gerade auf die drei ersten Tage an?

Bei einer neuen Mannschaft gibt es am Anfang erfahrungsgemäß Skepsis. In den ersten drei Tagen wird die Haustechnik neu verlegt. In dieser Zeit muss man dem eigenen Team erst einmal beweisen, dass der Sanierungssprint funktioniert. Dann ist das Eis gebrochen und die Begeisterung groß.

Die erste große Hürde ist am Tag zehn und elf, wenn Fußbodenheizung und Estrich kommen. Der kritische Punkt hier: die Trocknungszeiten, weil wir am Tag 17 schon mit den Bodenbelägen beginnen. Wenn die Handwerker erlebt haben, wie es geht, kann man bei den nächsten Projekten darauf aufbauen.

Also alles glattgegangen bisher. Keine unvorhersehbaren Ereignisse oder Störungen im Sanierungsablauf? Sind Sie dank guter Planung davon verschont geblieben?

Nein, gar nicht. Irgendetwas läuft immer am Bau schief. Wir haben das die ‚Überraschung des Tages‘ genannt. Mal ist es ein morscher Holzbalken, mal eine versehentlich angebohrte Wasserleitung. Mal passt ein Fenster nicht, mal wurden Dinge falsch bestellt. Wir haben alles schon erlebt. Das ist auch kein Drama. Fehler werden überall gemacht. Da muss man nachbessern, die Fensteröffnung entsprechend anpassen, Lösungen vor Ort finden. Es wäre nicht seriös zu sagen, dass wir alles planen können. Das geht bei einer Altbausanierung nicht. Aber wir können solche unvorhersehbaren Ereignisse auch durch Routine immer besser in den Griff bekommen.

Stichwort Lieferengpässe. Darüber wird derzeit viel geklagt. Können Sie aufgrund dessen denn überhaupt richtig planen und schaffen Sie die Termine trotzdem?

In aller Regel sanieren wir in einem Standard, wo Materialien immer vorrätig sind. Ein Wärmedämmverbundsystem und Dacheindeckungsmaterial – das gibt es ja alles beim Baustoffhändler auf Lager. Das kann man sich von heute auf morgen besorgen. Wir wissen rechtzeitig, welche Materialien wir brauchen. Das Einzige, was wirklich als Allererstes bestellt werden muss, sobald man den Sanierungsbeginn kennt, sind die Fenster.

Gut vier Wochen Bestandssanierung. Die Planungsphase ist da vermutlich noch nicht eingerechnet?

Die Planung muss vorher abgeschlossen sein. Aber sie ist nur beim ersten Mal sehr aufwendig. Der Bauzeitenplan, den ich im Verlauf von zwei Jahren entwickelt habe, funktioniert für jede Baustelle – wie ein Stundenplan in der Schule. Dort ist mit Uhrzeit und Stundenzahl genau aufgeschlüsselt, wer welche Arbeit macht. Zum Beispiel: Am Tag eins um 7.00 Uhr wird das Gerüst aufgebaut. Innen beginnen die Elektriker mit dem Ziehen der Schlitze für die Elektroinstallation.

Mit welchen neuen Projekten geht es jetzt für Sie weiter?

Wir haben ein KI-gesteuertes Tool entwickelt, um den Planungsprozess noch einmal deutlich zu beschleunigen. Jetzt müssen wir das Ganze in die Breite tragen. Mit insgesamt rund zehn Sanierungssprints seit 2022, unter anderem in Leipzig, Hamburg und Landau in der Pfalz, haben wir hinreichend bewiesen: Prozessoptimierung ist auch im Bestand machbar. Dass andere Bauunternehmen, etwa aus Köln und Stuttgart, inzwischen nachgezogen haben, sehen wir als Bestätigung. Zurzeit bin ich dabei, eine Weiterbildung für Sanierungscoaches auf die Beine zu stellen. Es gibt schon Anfragen dafür.

Der Sanierungscoach ist im Endeffekt der Baustellenkoordinator?

Er ist derjenige, der dafür sorgt, dass die Baustelle läuft. Und für dieses neue Berufsbild gibt es auch eine ganze Reihe interessanter Ansätze: wie man sich damit künftig in der Branche positionieren, dann regional mit verschiedenen Teams die Sanierung ankurbeln und auch seinen eigenen Ertrag über die Zeit gut anwachsen lassen kann.

Bauleiter haben wir schon immer gehabt, könnte man entgegnen. Wo ist da der Unterschied?

Zur fachlichen kommt hier in erster Linie eine motivatorische Aufgabe. Ich habe über viele Jahre Baustellen analysiert, nicht zuletzt meine eigenen, und festgestellt: Wenn dort nicht den ganzen Tag über jemand ist, der die Baustelle am Laufen hält und für gute Stimmung sorgt, dauert es deutlich länger.

Das klingt nach Entertainment, auch wenn Sie das sicher nicht meinen – was dann?

Mit Entertainment hat das natürlich nichts zu tun. Es braucht eine Führungsperson auf der Baustelle, vergleichbar mit einem Fußballtrainer. Warum ist der denn bei jedem Training, jedem Länderspiel dabei? Sind die Profis etwa nicht in der Lage, guten Fußball abzuliefern? Der Koordinator an ihrer Seite sorgt dafür, dass die Spieler richtig eingesetzt werden. Damit sie ihre Leistung genau dann bringen, wenn sie gefragt ist. Er sorgt aber auch dafür, dass sie ihre Massage bekommen, Pausen machen.

So machen wir es beim Sanierungssprint auch und sagen: Nachahmung erwünscht. Die Idee ist, dass der Handwerker, wenn er den Sanierungssprint macht, erkennt: Er hat hier das bessere Arbeiten, eine wesentlich bessere Arbeitsatmosphäre und nicht zuletzt auch finanziell sein Auskommen.

Interview: Carla Fritz

Sanierungssprint „22 Tage plus“ in Hamburg-Alsterdorf. Rotklinkervilla/200 qm, Baujahr 1933. Sanierung September/Oktober 2024. Dauer Kernsanierung 32 Arbeitstage, davor wurde entkernt (vorher/nachher)
Foto: Ronald Meyer Ingenieurbüro für energieeffiziente Gebäude
Sanierungssprint in Hamburg-Duvenstedt in 22 Arbeitstagen, 2023 (vorher/nachher)
Foto: Ronald Meyer Ingenieurbüro für energieeffiziente Gebäude
Sanierungssprint in Leipzig-Markleeberg. Doppelhaushälfte, Baujahr 1930, Sanierung Mai 2024 in 22 Arbeitstagen (vorher/nachher)
Foto: Ronald Meyer Ingenieurbüro für energieeffiziente Gebäude